Erkenntnis
Transformation
Um ein Aufleuchten von transzendenter Erfahrung zu erleben, müssen wir regelmäßig praktizieren. Es beginnt mit der Kontemplation von Textpassagen, die uns immer näher an die letztendliche Wahrheit heranführen, wenn wir sie tief in uns aufnehmen und wirken lassen. Stille Meditation und Gemütsruhe sind dann die Basis für das Loslassen, von dem alle Meister und Mystiker sprechen.
Loslassen wovon? Der Buddha hat klar dargelegt, dass es letztendlich nicht um Loslassen von Dingen geht. Wir müssen vielmehr das Greifen und Festhalten in uns erkennen, diese Anhaftung an Objekten anschauen und durchschneiden. Diese Fessel des Anhaftens ist die Ursache für all unsere Verstrickungen. Durchschneiden heißt, dies zu erkennen und den Geist entspannen zu lernen, damit er das Greifen loslässt. In so einem Moment sind wir frei. Und in diesem Moment kann wahre Erkenntnis aufscheinen. Dies hat dann eine durchgreifende Wirkung auf unser ganzes Leben und unsere Beziehung zu anderen Menschen. Der Antrieb des Ego-Ich bricht weg, der Geist öffnet sich weit und wir sehen die Welt aus einer neuen Perspektive. Diesen Sichtwechsel nennen wir auf dem spirituellen Weg Transformation; alle guten Qualitäten, die in uns durch die Schleier von Verblendung, Anhaftung und Abneigung verdeckt waren, kommen zum Vorschein.
Um dieses „neue Sein“ zu stabilisieren, müssen wir aber konsequent den Weg gehen und üben, denn unsere eingefahrenen Denk- und Verhaltensmuster sind tief in uns eingeprägt. Es gibt dafür viele erprobte Methoden in den kontemplativen Traditionen. Insbesondere die buddhistische Lehre ist reich damit ausgestattet wie ein Medizinschrank. Diese Medizin ist ein Nektar, der seine Wirkung durch Sehnsucht nach Befreiung, Vertrauen in die überlieferten Lehren verwirklichter Meister, Hingabe an die absolute Wirklichkeit und den daraus aufscheinenden Segen entfaltet.
In der Herausforderung des Alltags können wir uns von einem kurzen heiligen Text oder heiligen Silben eines Mantras begleiten lassen, die den Geist schützen. In der christlichen Tradition kommt hier das Herzensgebet zum Tragen. Es geht um das ständige sich Erinnern an das Verbundensein mit der transzendenten Ebene, mit dem göttlichen Urgrund.
In der indischen Mystik spricht man von der Praxis des Bhakti-Yoga, der Hingabe, der Liebe zum göttlichen Absoluten und von Jnana-Yoga, dem Weg der Erkenntnis, die durch erkennendes Schauen die uranfängliche Weisheit offenbart. Diese beiden sind wie Flügel. Sie tragen uns dem Licht der Befreiung entgegen.
Jnana-Yoga: Selbsterkenntnis
Selbsterkenntnis führt über die Erkenntnis des Nicht-Selbst. Jedes vorgestellte Selbst ist Nicht-Selbst. Jede Identifikation ist Nicht-Selbst. Deshalb ist Befreiung die Verwirklichung des Nicht-Selbst. Dazu müssen wir Nicht-Selbst und Selbst sauber trennen. Was sich dann offenbart, ist das wahre transzendente Selbst, todlos, merkmallos, jenseits von Sein und Nicht-Sein. Dieses Selbst ist ein selbstloses Selbst, jenseits von Vorstellung – reine, klare Bewusstheit, uranfängliche Weisheit (Jnana), ohne Zentrum und ohne Begrenzung; das, was das Ich erkennt, was die geistigen Prozesse erkennt, was sogar das reine Gewahrsein erkennt, aber selbst nicht erkannt werden kann, da es ist – ist ES, die höchste Gottheit, Brahman-Atman, Sat-Cit-Ananda, reines Sein, transzendente Wirklichkeit - reines Bewusstsein, uranfängliche Weisheit - Seligkeit.
Bhakti-Yoga: Die Verehrung des Göttlichen
Wir nähern uns dem höchsten Mysterium des Selbst bzw. der Gottheit an, indem wir als Menschen in unserem Geist ein Bild erzeugen, das uns inspiriert. Inspiration öffnet uns für die andere Wirklichkeit. Sie zeigt sich als Segen, der uns auf dem Weg stützt und trägt. Das Bild im Geist oder ein Bildnis oder eine Statue ist ein Mittel, um eine geistige Verbindung zum Höchsten zu schaffen.
Die Zitate im folgenden Teil des Textes stammen aus: "Bhakti-Yoga" von Swami Vivekananda
„Die Verehrung eines Pratika (Bildnisses) ist die ersatzweise Verehrung von etwas, das gewissermaßen immer mehr Brahman ähnelt, jedoch nicht Brahman ist." - Denke an die verschiedenen Namen, die Gott gegeben wurden – die Tausend Namen des Herrn – oder auch an die buddhistische Praxis der Buddha-Aspekte (Yidams, Gottheiten-Yoga genannt). Verehrung ist Hingabe. Das ist aber noch nicht Bhakti, die höchste und reinste Liebe.
"Wo aber Brahman selbst das Objekt der Verehrung ist und Pratika lediglich als Ersatz dient oder eine Vorstellung davon ist, das heißt, wo mittels des Pratika das allgegenwärtige Brahman verehrt wird (…) ist die Verehrung ganz bestimmt von Nutzen. Nein, für die gesamte Menschheit ist sie sogar solange unabdingbar, bis alle Menschen sich bezüglich der Verehrung über den anfänglichen oder vorbereitenden Bewusstseinszustand hinweggehoben haben.“ - Das bedeutet, dass die Verehrung von Heiligen, Devas, Yidams als Mittel dient, um in direkten Kontakt mit der letztendlichen Wahrheit, Gott-an-sich oder Brahman zu kommen.
In der Advaita-Tradition heißt es: „Ist nicht alles, von dem Name und Form entfernt wurden, Brahman? Ist nicht Er, der Herr, das innerste Selbst eines jeden?“
Dabei geht es um die „Weite und Intensität der Liebe“. „Das Mittel dazu ist dieser Weg des Ishta-Nishtha oder der ‚unerschütterlichen Hingabe an das gewählte Ideal‘.“ (…) „Daher werden wir im Bhakti-Yoga mit äußerstem Nachdruck dazu aufgefordert, keinen ob der unterschiedlichen, zur Erlösung führenden Pfade zu hassen oder ihn abzulehnen.“